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Auf den Berg müssen wir rauf!

Die Pause zwischen den Produktionen haben wir für ein längeres Gespräch mit unserem Regisseur und Oberspielleiter Oliver Vorwerk genutzt. Was er zu den Produktionsbedingungen am TAK, dem Thema des Spielplans und zu Geschlechtergerechtigkeit – nicht nur im Theater – sagt, lesen Sie hier.


Lesedauer: 12 Minuten.

Dienstag, 09.11.21

Interview: Marie Ruback
Foto: Tatjana Schnalzger

Zwischen den Endproben zur zweiten Premiere der Saison «Und sicher ist mit mir die Welt verschwunden» im Oktober 2021 treffe ich Oliver Vorwerk in der Techniker-Lounge. Als Oberspielleiter bringt er am TAK inzwischen seine 7. Premiere zur Aufführung. Um welche Themen es ihm in Zusammenarbeit mit Intendant Thomas Spieckermann, Dramaturg Jan Sellke und dem TAK-Ensemble geht, welche Möglichkeiten er darin sieht und welche Klippen es zu umschiffen gilt, das erzählt er im Interview.

Das TAK als Schatzkästchen

In 2015 hast Du zum ersten Mal am TAK inszeniert. Welche Erinnerungen verbindest Du mit der Arbeit an «Gilgamesch» damals?
Da ich Liechtenstein überhaupt nicht kannte, war es ein bisschen abenteuerlich, sehr neu, sehr fremd. Dieses kleine Theater mochte ich von Beginn an sehr, ich dachte: Sie zeigen sehr grosse Gastspiele, aber vielleicht kann man hier auch gut eigene Sachen machen. Natürlich war ich sehr beschäftigt mit dem unglaublichen tollen Text und hatte die Gelegenheit, mit dem Intendanten gemeinsam das Ensemble dazu zu finden. Diese Möglichkeit hat man selten am Stadt- oder Staatstheater, da arbeitet man mit den dort engagierten Schauspielern.

«Gilgamesch» sollte ursprünglich eine Szenische Lesung werden, aber die beiden Spielerinnen waren so angetan vom Text, dass sie ihn auswendig lernten und wir ein Spiel entwickelten. Später wurden wir mit der Inszenierung nach Berlin eingeladen und haben im Ägyptischen Museum bei der Büste der Nofretete gespielt. Wegen des Publikumsverkehrs haben wir abends geprobt, und als ich nachts durch dieses Museum gelaufen bin, war das ein sehr einzigartiges Erlebnis.

Auch wenn Berlin so viel Kultur jeden Abend zu bieten hat, war unsere einzige Vorstellung dort ausverkauft mit einer langen Warteliste, ich war ganz perplex! Ein besonderes Publikum war das an diesem Abend.

Seit wann arbeitest Du mit Thomas Spieckermann zusammen, wo haben sich Eure theatralen Wege gekreuzt?
Ich kenne Thomas aus Würzburg. Er war grad mit dem Studium fertig, ich war ganz junger Regisseur am Mainfranken Theater. Gemeinsam haben wir eine längere Zeit in Nordhausen, eine Weile in Cottbus und dann am Theater Konstanz zusammengearbeitet, dort war ich insgesamt 10 Jahre.

Deine zweite Arbeit am TAK war das Familiendrama «In einem finsteren Haus», ein schwer verdaulicher Stoff…wie kam es dazu?
Thomas kennt den Autor, Neil LaBute, der als Drehbuchautor und Regisseur viel für Hollywood arbeitet, seine Leidenschaft ist aber das Theater. Seine Stücke sind unaufwendig und haben immer einen spannenden psychologischen Zugang zu Figuren und Themen, psychologisches Kammerspiel par excellence! Wir haben dann Schauspieler für das Stück gesucht und so habe ich zum ersten Mal mit Christiani Wetter zusammengearbeitet. Philip Heimke und Nikolaus Schmid haben die beiden ungleichen Brüder gespielt.

Ein tolles Erlebnis, was ja auch zeigt, dass das TAK neben den Eigenproduktionen und den grossen, auch internationalen Gastspielen, die es hier in Schaan zeigt, auch ins Aussen wirkt und Kultur «made in Liechtenstein» in die Welt bringt. Seit eineinhalb Jahren bist Du nun Oberspielleiter am TAK, was bedeutet das?
Genau! Neben meinem Schaffen als Regisseur, bin ich Oberspielleiter am TAK. Das heisst für mich, dass ich mich über die Probenarbeit hinaus um das Ensemble kümmere. Mit ihren täglichen Sorgen, mit ihren künstlerischen Fragen. Auch mit Wegweisern für die theatrale Zusammenarbeit: Was gibt es für Themen, die relevant sind, welche Stücke sind aktuelle oder spannend oder beides. All diese Dinge sind in einem Austausch möglich, der über einen längeren Zeitraum hin stattfinden darf, weil man nicht nur für die Dauer einer einzelnen Produktion zusammen ist. Wir arbeiten ja alle als Menschen zusammen, wir können so gemeinsam Erfahrungen machen, im besten Fall miteinander wachsen.

Ein wichtiger Punkt ist zum Beispiel, dass man eine gemeinsame Sprache findet. Wie alle Berufe haben wir eine spezielle Theater-Fachsprache. Dazu ist es extrem schwer, Gefühle in Sprache zu fassen. Mir hilft manchmal zum Beispiel eher eine Farbbeschreibung als ein Wort. Wenn man länger zusammenarbeitet – wie ich nun zum Beispiel mit Julian (Härtner, Anm. d. Red.) – dann bedarf es immer weniger die Umschreibung eines Gefühls, sondern wir können uns sehr konkret und direkt austauschen. Dieses Zusammenwachsen ist ein wichtiger Baustein für eine intensive Arbeit an einem Stück und seinen Figuren.

Dieses «kleine TAK» bietet unglaublich viele Möglichkeiten für eine gute Theaterarbeit: Wir können uns sehr auf die Arbeit konzentrieren, können in meiner Wahrnehmung bis zur Premiere in einem wirklichen kreativen Schutzraum angstfrei agieren, was im Theater keine Selbstverständlichkeit ist, da möchte ich Stichworte wie Konkurrenz oder Zeitdruck nennen. Auch sehe ich im TAK flache Hierarchien, die sich auf den Theaterprozess unglaublich positiv auswirken.

Mein Traum ist es immer, ein kleines Schatzkästchen zu bauen hier in Liechtenstein. Dass die Menschen in der Region wissen: Hier können sie herkommen und spannende Theatererlebnisse haben. Ich empfinde uns ausserhalb der Konkurrenz mit anderen Häusern, im Gegenteil: Wenn wir hier die Gastspiele sehen, dass ist das für mich eine grosse Bereicherung. Es sind natürlich immer sehr genau ausgewählte und sehr spannende Inszenierungen, die ins TAK eingeladen werden.

Die Haltung macht den Menschen aus, nicht das Geschlecht.
Oliver Vorwerk, Oberspielleiter, TAK Theater Liechtenstein

Die Rolle der Frau

Die Bandbreite der Theatertexte, die Du inzwischen am TAK inszeniert hast, ist gross: Es gab einen modernen Politthriller («Tage des Verrats», Beau Willimon), einen Roman des Existenzialismus («Der Fremde», Albert Camus), klassische und ganz aktuelle Theatertexte (Arthur Miller, Sibylle Berg) und einen historischen Politthriller (Shakespeare). Immer steht dabei der Mensch im Zentrum Deiner Inszenierungen. Es folgt nun die vierte Eigenproduktion in dieser Saison noch mal ein Stück von William Shakespeare, nämlich «Richard III.». Im Gegensatz zur Eröffnungspremiere, die ausschliesslich von Männern gespielt wurde, habt Ihr nun alle Rollen mit Frauen besetzt. Was steckt dahinter?
Wir machen uns zuallererst Gedanken darüber, was ist jetzt gerade relevant, was sind die aktuellen Fragen der Gesellschaft. Ich finde, Theater muss immer einen Bezug haben zu unserem Leben heute. Diesen sehe ich auch bei alten Texten, die können sehr aktuell sein! Aber sie müssen etwas mit uns zu tun haben.

Haltung, Macht und Moral

Wieder zurück zur Inszenierung «Richard III.»: Werden dort alle Spielerinnen wechselseitig die Figur des Richard übernehmen?

Nein, die Inszenierung wird im Grunde eher konservativ sein in der Besetzung. Der Text als solcher ist maskulin, das muss man sagen. Es geht um Entscheidungen und Macht. Darum, macht an sich zu reissen, sie zu etablieren und für sich auszunutzen. Was mich interessiert, möchte ich wie im Labor untersuchen: Ist es plausibel machbar, dass Frauen genau so die Macht an sich reissen? Vorweg: Ich glaube schon!

Ganz einfach: Wenn es auf der Bühne tragisch endet, sollte es den Effekt haben, dass das Publikum sagt: «So soll es bei uns nicht enden. Und damit es so nicht endet, müssen wir etwas tun.»
Oliver Vorwerk, Oberspielleiter TAK Theater Liechtenstein

Theater als Interaktion

Was möchtest Du dann dem Publikum mitgeben?
Ich bin mir bewusst, dass ich als Regisseur auch sehr harte Dinge zeige, dass das Publikum erschrickt und die Frage aufkommt, ob man solch Härte oder Brutalität auf der Bühne zeigen muss. Ich finde, ja man muss es zeigen bzw. sehen. Nicht weil die Welt so unglaublich brutal und schlecht ist – das ist sie auch. Aber alle Leute, die das sehen, und nur ein oder zwei, die nach dem Applaus rausgehen und sagen: «So weit darf es nicht kommen. Also ziehen wir die Bremse. Reden wir miteinander, versuchen wir, Wege zu finden.»

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